#Nachdenklich 3

Im Ton vergriffen, aber richtig!

von Fabian Degen (19. Mai 2022)

 

Ich habe ja schon eine Zeit lang einen Twitter-Account, den ich allerdings nur sparsam nutze. Ich konsumiere dort sehr gerne kurze, gern auch bissige Tweets, lasse hier und dort meine Zustimmung erkennen und kommentiere auch ab und an Beiträge anderer Nutzer*innen. Von Regelmäßigkeit kann allerdings keine Rede sein. Gestern nun markierte mich ein ehemaliger Arbeitskollege unter einem Tweet und forderte mich auch, doch mal kurz ins Ratsbüro der Clausthaler FDP zu gehen und dort das Fenster zu öffnen, scheinbar herrsche dort akuter Sauerstoffmangel. Ich musste dann erstmal den verlinkten Tweet lesen und verstehen worum es genau ging. Der FDP-Ratsherr Jan Schwede hatte dort zu Demonstranten geäußert, die durch einen Sitzstreik Autos am Weiterfahren behinderten. Die entsprechenden Tweets sind mittlerweile gelöscht. Den Wortlaut werde ich an dieser Stelle nicht wiederholen, um einer entsprechenden Argumentation keinen Raum zu geben. Inhaltlich kann es aber als Aufruf zur Gewalt und eine Rechtfertigung von Tötungsabsichten verstanden werden. Einen Auszug der Äußerungen kann man aber der heutigen Ausgabe der GZ entnehmen.

Natürlich lies ein Shitstorm nicht lange auf sich warten. Ich war auch schon dabei die Screenshots seiner Posts für Facebook und Instagram aufzubereiten und mit entsprechenden Kommentaren zu versehen. Ich habe mich dann aber doch dagegen entschieden und stattdessen begonnen diese Zeilen zu verfassen. Wer mich kennt weiß, dass ich durchaus einen derben Humor habe und auch hier und da mit einem Augenzwinkern provozieren möchte. In diesem Fall ist für mich persönlich jedoch eine Grenze überschritten, die dies nicht länger erlaubt.

Ich kenne Herrn Schwede nicht persönlich. Daher kann ich mir kein Urteil erlauben welche Gesinnung er möglicherweise vertritt. Jeder politisch aktive Mensch sollte eigentlich wissen, was solche Äußerungen nach sich ziehen. Wer zerstört sich schon gern selbst die weitere politische Karriere? Daher kann man vermuten, dass hier aus einem Impuls heraus falsch reagiert wurde und dabei Formulierungen gewählt wurden, die (ganz stark verharmlost) ungeschickt waren. Nochmal, ich weiß es tatsächlich nicht. Zumindest sind die geschmacklosen Tweets gelöscht und eine halbherzige Entschuldigung veröffentlicht. Hier kommt der Punkt der mich persönlich sehr stört. Ich schreibe bewusst "halbherzige" Entschuldigung. Auch hier ist erneut eine unglückliche Formulierung gewählt, die schon wieder relativiert.

Der Grund warum ich hier versuche recht reflektiert zu diesem Vorfall zu schreiben ist jedoch ein anderer. In den vergangenen Tagen und Wochen habe ich mich intensiv mit dem Programmentwurf meiner Partei für die anstehende Landtagswahl auseinandergesetzt. Dabei ist ein Bestandteil für uns Grüne von sehr großer Bedeutung. Der Kampf gegen Hassrede. In der Anonymität des Internets finden oftmals abscheuliche Angriffe auf Personen statt, die jede Grenze des Anstands überschreiten und die Betroffenen oftmals in existentielle Krisen stürzen. Gesellschaftliches Zusammenleben und politischer Diskurs kann aber nur dann funktionieren, wenn gewisse Spielregeln eingehalten werden. Lässt man die Formulierungen des Herrn Schwede einmal beiseite, ist seine Kritik ja legitim. Er darf gegen diese Demonstration und ihre Forderungen sein. Genauso darf auch jeder von uns anderer Meinung sein und diese Aktion richtig gut finden. Andere stehen vielleicht meinungstechnisch irgendwo in der Mitte. Wichtig ist nur, wie die Diskussion darüber geführt wird. Wenn ich Hassrede nun aber bei anderen verurteile, darf ich dem nicht begegnen indem ich genauso antworte oder ein Forum dafür biete. Damit komme ich auf den Anfang zurück und den Grund warum ich keinen süffisanten Beitrag bei Facebook oder Insta veröffentlich habe. Stattdessen hielt ich es für sinnvoller hier etwas ausführlicher zu der Thematik zu schreiben.

Herr Schwede möchte nun in seiner Partei die Vertrauensfrage stellen und sich somit in die Hände seiner Parteifreundinnen und Parteifreunde begeben. Ich bin sehr auf das Ergebnis gespannt. Meiner Meinung nach keine gute Entscheidung. Die Übernahme persönlicher Verantwortung hätte im Rückzug von allen Ämtern und Mandaten münden müssen. Nun wird die Verantwortung auf andere abgewälzt.



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