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von Fabian Degen (19. April 2022)
In den vergangenen Tagen drehen sich die Diskussionen die ich bei Facebook, Instagram und Co. führen und verfolgen durfte, hauptsächlich um zwei Themen. Da wäre einmal der Rücktritt von Anne Spiegel als Bundesfamilienministerin und natürlich die Frage nach Waffenlieferungen für die Ukraine. Zwei Diskussionen, die gerade für uns Grüne nicht einfach sind. Ich habe hier und da versucht, meine Meinung zu den Themen zu vertreten, aber in Kommentarspalten ist dies manchmal nicht so einfach und oftmals auch nicht sachlich. Außerdem war Ostern und ich habe mir erlaubt einige Tage mit der Familie in Hamburg zu verbringen. Nach unserer Rückkehr standen dann noch die üblichen Feiertagsbesuche bei der Familie vor Ort an, so dass die Zeit zum Posten auch irgendwo begrenzt war. In diesem Fall allerdings gar nicht so verkehrt. Ich konnte diese Zeit nutzen, um meine Gedanken ein wenig zu strukturieren und nun in Ruhe hier zu Papier (oder auf eure digitalen Endgeräte) zu bringen.
Noch ein kurzer Disclaimer bevor ich loslege… Alles was ich hier schreibe ist meine Meinung. Ich habe die folgenden Zeilen nicht mit meinem Kreisverband abgestimmt oder im Vorfeld besprochen. Und JA, ihr dürft auch andere Meinungen vertreten und gerne mit mir diskutieren, so lange dies sachlich geschieht und nicht so impulsiv und teils beleidigend, wie wir es allzu oft in diesen Zeiten erleben. Nun aber los.
Ich beginne mit dem Fall, den ich für deutlich einfacher zu erläutern finde. Der Rücktritt von Anne Spiegel ist ein Zeugnis dafür, was in unserer Gesellschaft eigentlich schiefläuft. Wir haben hier eine Frau, die in recht jungen Jahren eine enorme politische Verantwortung auf sich geladen hat. Gleichzeitig ist sie Mutter von vier Kindern und hat einen Ehemann, der sich von einem Schlaganfall erholt. Drei große Baustellen, die alle dazu geeignet sind, einen Menschen an die Grenzen der Belastbarkeit und darüber hinaus zu bringen. Diese Frau hat sich nun eine Auszeit genommen, um einige Wochen abschalten zu können und gemeinsam mit ihrer Familie die Akkus wieder aufzuladen. Ja, der Zeitpunkt war zumindest unglücklich gewählt. Hier wäre mehr Fingerspitzengefühl durchaus wünschenswert gewesen. Allerdings hat ihr Ministerium die Arbeit deswegen ja nicht eingestellt. Ganz im Gegenteil hier wurde rechtzeitig eine Warnung zu der Flutkatastrophe herausgegeben. Aktuell wird gegen einen Landrat ermittelt, der diese Warnung ignorierte. Auch war sie telefonisch und per Mail erreichbar und konnte Entscheidungen treffen. Von daher komme ich zu dem Schluss, dass man dieser Reise zwar ein gewisses Geschmäckle unterstellen kann (so man es denn will), mehr aber auch nicht. In einem Land, das sich Werte wie Gleichstellung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf die Fahnen geschrieben hat, dürfte dies eigentlich nicht mehr als eine Randnotiz sein. Leider ist es dies nicht. Anne Spiegel sah sich einer Berichterstattung ausgesetzt, die mindestens als unfair bezeichnet werden muss. Ich habe in den diversen Artikeln, Kommentaren und Diskussionen auch einen wichtigen Punkt vermisst, nämlich die Frage nach der Qualität ihrer Arbeit. Diese ist aus meiner Sicht tadellos. Auch in ihren wenigen Monaten als Bundesministerin hat sie einen herausragenden Job abgeliefert.
Leider hat sie einen schwerwiegenden Fehler gemacht, der nun ihren Rücktritt erforderlich machte… Sie hat gelogen! In der ganzen Debatte um ihre Reise, hat sie angegeben sogar an Kabinettssitzungen teilgenommen zu haben. Dies stellte sich hinterher als unwahr heraus. Lügen ist für Spitzenpolitiker*innen selten karrierefördernd. So gesehen war ihr Rücktritt folgerichtig. Für mich persönlich stellt sich jedoch eher die Frage, warum es in unserer Gesellschaft überhaupt den Impuls gibt, zu einer Lüge zu greifen, wenn die eigene Leistungsfähigkeit nicht gegeben ist und eine Auszeit notwendig erscheint?! Ich denke, dass jeder von uns bereits an einem Punkt war, wo es einfach mal nicht so ging wie man es gerne gehabt hätte. Eigentlich vollkommen normal. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der man diesen Umstand ganz klar aussprechen darf und dafür keine Kritik oder Häme, sondern Unterstützung erfährt. Dies hätte auch Anne verdient gehabt! Mir persönlich tausendmal lieber als Minister*innen die jeden Tag anwesend sind und dann die Energiewende blockieren, uns ein Maut-Desaster bescheren oder mit Cum-Ex-Geschäften beglücken.
Nun genug dazu…
Ich komme zur Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine. Gerade für uns Grüne ein sehr schwieriges Thema. Als Partei stehen wir für diplomatische Lösungen, Frieden und Abrüstung. Wie passt dies nun zusammen mit Aussagen von Robert Habeck und Annalena Baerbock, dass die Ukraine auch mit Waffen zu unterstützen sei?
Ich stimme grundsätzlich sofort zu, wenn mir gesagt wird, dass Waffen noch nie Frieden gebracht haben. Meine Sympathie für eine Friedenspolitik, die in ihrem Kern auf Abschreckung durch größere Waffen als auf der Gegenseite setzt, rangiert in sehr überschaubaren Grenzen. Ich verstehe absolut was die Autorinnen und Autoren solcher Kommentare aussagen wollen und ich unterstütze die grundsätzliche Intuition jeder Friedenskundgebung der vergangenen Tage. Leider werden einige grundsätzliche Fehler in der Argumentation begangen bzw. werden einige Punkte einfach ignoriert.
Beginnen wir mit der geforderten Demilitarisierung. Diese hatten wir z. B. in den 90er Jahren. Damals hat die Ukraine Atomwaffen abgegeben, die noch auf ihrem Gebiet stationiert waren. Im Gegenzug verpflichtete sich Russland zur Anerkennung der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Ukraine. Dieser Vertrag ist bei den Vereinten Nationen hinterlegt und gilt eigentlich bis heute. Gebrochen wurde er erstmalig von russischer Seite, als vor einigen Jahren die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim vorgenommen wurde, während gleichzeitig Separatisten in der Ostukraine massiv aufgerüstet und unterstützt wurden. Genau das Vorgehen, das der Westen nun bitte unterlassen soll, hat Russland in Person von Putin jahrelang betrieben. Wo waren damals die Demonstrationen, die Putin zur Abrüstung aufgefordert haben? Wir blicken auf viele Jahre zurück, in denen Deutschland exzellente politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Russland unterhalten hat, ohne irgendeinen Effekt auf die heutige Situation.
Wie zynisch ist es vor diesem Hintergrund nun das Recht der Ukraine zur Selbstverteidigung zu hinterfragen? Ich möchte auch anmerken, dass es ein Gerichtsverfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gab. Russlands Angriffskrieg wurde dort für rechtswidrig erklärt und ist sofort einzustellen. Nichts ist passiert! Nun erreichen uns vermehrt Berichte über Kriegsverbrechen. Wir sehen Bilder von grausamen Hinrichtungen an der Zivilbevölkerung. Wie soll so etwas erklärbar sein? Putin hat uns deutlich gezeigt, dass ihm nicht vertraut werden kann. Alle Zugeständnisse, alle Zusammenarbeit, all das Verständnis der Vergangenheit haben uns genau zu diesem Punkt geführt.
Ich befürchte, dass es nur eine Möglichkeit gibt diesen grausamen Krieg zu einem schnellen Ende zu bringen, er muss für Putin so teuer werden, dass er es sich schlicht nicht mehr leisten kann ihn fortzuführen. Der ukrainischen Bevölkerung gehört bis dahin unsere Solidarität und unsere Unterstützung, auch mit der entsprechenden Ausrüstung. Ich halte Waffenlieferungen nie für den richtigen Weg, in diesem Fall aber für eine gebotene Notwendigkeit!
Was mich heute mit zunehmend besorgt ist die Art und Weise wie in Teilen unserer Bevölkerung diskutiert wird. Auch Argumente, die ich teils sogar aus dem Dunstkreis der örtlichen Linkspartei vernehme, halte ich für fragwürdig. Hier wird ein Kuschelkurs gegenüber Putin gefahren. Man müsse auch für Russland Verständnis haben! Soll man doch die Ostukraine abgeben für den Frieden! Der amerikanische Imperialismus ist schuld! Ein Kommentar sprach gar von der Ukraine als künstliche Staatenstruktur…
Ich frage mich, ob die Leute, die sowas schreiben auch bereit wären ihre Argumente mit ukrainischen Kriegsflüchtlingen zu diskutieren?! An Geschmacklosigkeit sind sie jedenfalls kaum zu überbieten. Ich hoffe, dass diejenigen die so denken und argumentieren irgendwann erkennen, dass sie daran mitwirken Putins Krieg zu legitimieren. Sie tragen somit eine Mitverantwortung an dem unvorstellbaren Leid der ukrainischen Bevölkerung.
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