Unser Ratskandidat Wolfram Haeseler berichtet von seinem THW - Fluteinsatz

14 Tage im Flutgebiet Ahrtal mit dem Einsatzstellen-Sicherungs-System (ESS) des THW im Einsatz

19.08.21 –

14 Tage im Flutgebiet Ahrtal mit dem Einsatzstellen-Sicherungs-System (ESS) des THW im Einsatz

Montag den 19. Juli 04:30 Uhr klingelte mein Handy, auf dem Display stand „Alarm THW“, Da am Donnerstag zuvor bereits eine Abfrage versandt wurde, wer wann einsatzbereit wäre, um in das Ahrtal zu fahren, konnte ich mir schon denken worum es geht. Ich ging ans Telefon, die Aussage war recht knapp, aber einfach zu verstehen: „Einsatz für das ESS im Ahrtal. Abfahrt 7 Uhr am Ortsverband, Rückkehr Sonntag.“ Ob es an der Uhrzeit lag oder an der Erinnerung an die Bilder des Unglücksgebietes aus der Tagesschau, kann ich gar nicht genau sagen, aber meine Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Ja, ich komme“.  

Durch den Einfluss von Kommilitonen während meines Studiums in Wernigerode lernte ich den THW Ortsverband in Quedlinburg kennen. Die Vielfalt der verschiedenen Fachgruppen in diesem Ortsverband hatte mein Interesse geweckt und als ich die Spezialeinheiten kennen lernte, war es ganz um mich geschehen. Ins Besondere die technische Task Force CBRN (Chemisch, Biologisch, Radioaktiv, Nuklear) tat es mir an. Dort erlernte ich schwere Bergungstätigkeiten unter chemischen, biologischen, radioaktiven oder nuklearen Gefahren durchzuführen. Eine weitere Spezial-Einheit ist die Bergungsgruppe mit ASH-Komponente (Abstützsystem Holz). Diese Einheit gibt es im Landesverband Berlin/Brandenburg/Sachsen-Anhalt nur noch ein zweites Mal und zwar in Berlin selbst. Mit diesem System haben wir schon unzählige Häuser vor dem Einsturz oder Teileinsturz, im gesamten Gebiet des Landesverbandes, bewahrt. Gemeinsam mit dieser Einheit arbeitet der ESS-Trupp Hand in Hand. Bevor das Gebäude gesichert ist, besteht für die Einsatzkräfte vor Ort eine immense Gefahr. Beim Stellen der Holzböcke befinden sich die Einsatzkräfte direkt im einsturzgefährdeten Bereich. Das ESS überwacht mit einem hoch präzise und automatisierten Lasermessgerät (Tachymeter) bestimmte Stellen am Gebäude mit Messprismen und kann somit Bewegungen in allen Dimensionen erkennen, die einen Einsturz ankündigen können. Sollten solche Bewegungen zu sehen sein, alarmiert der ESS-Trupp die Rettungskräfte an der Einsatzstelle, die sich dann in Sicherheit bringen können. 

Als Teil dieses ESS-Trupps ging es also für mich ins Ahrtal. Zuerst sollten wir den Bereitstellungsraum Nürburgring anfahren, indem sich erstmal alle Einsatzkräfte sammeln sollten, um dann in der Nähe eingesetzt oder in einen anderen Bereitstellungsraum verlegt zu werden. Dort angekommen wurde uns ein Zelt zugewiesen und wir bauten zunächst unsere mitgebrachten Feldbetten auf. Eigentlich waren wir davon ausgegangen direkt an eine Einsatzstelle verlegt zu werden, da wir ja schließlich um 4:30 Uhr in der Nacht herausgerufen wurden. Das war aber nicht der Fall, denn der Zettel auf dem gemeldet wurde, dass wir eingetroffen waren, brauchte wohl noch etwas, um verarbeitet zu werden. Doch nach der ersten Alarmierung und der zügigen Fahrt an die Einsatzstelle kam ein Auftrag nach dem Nächsten. Als ESS-Trupp arbeitet man meist eng mit einem THW-Baufachberater zusammen, der die Einsatzleitung in dem jeweiligen Ort über die Statik und Standsicherheit der Gebäude, Bauwerke oder auch zu Gefahren durch Erdbewegungen berät. In vielen Fällen fällt der Baufachberater seine Bewertungen unter Berücksichtigung unserer Messergebnisse.

Am meisten ist mir der Einsatz in Erinnerung geblieben, bei dem ein Gebäude drohte einen Hang herunter in die Ahr zu stürzen. Samstag den 24. Juli wurde der Baufachberater aus dem Ortsverband Alsfeld (Hessen) durch den Einsatzleiter im Ort Schuld angefordert. Da wir mit diesem Baufachberater (Andreas) an dem Tag schon mehrere Einsatzstellen abgearbeitet hatten, sind wir also auch dort gemeinsam angerückt. Ein Feuerwehrmann aus dem Ort berichtete uns, er hätte im Gebäude seiner Partnerin neue Risse in Wänden und auf der betonierten Terrasse entdeckt. Von außen war an dem Gebäude erstmal nichts zu sehen, also zogen wir uns unsere Einsatzjacken an, setzten den Helm auf und betraten mit ihm das Innere des Gebäudes. Auf dem Weg zur besagten Terrasse erzählte uns der Feuerwehrmann recht aufgelöst, dass er im unteren Teil des Ortes bereits zwei Häuser verloren habe und er nun mit seiner Familie nur noch dieses Haus hätte, um unter zu kommen. Die Aussage lies Andreas und mich kurz schlucken, doch dann konzentrierten wir uns wieder auf die gründliche Erkundung. Die Terrasse war der Ahr zugewandt und als wir über die Brüstung schauten sahen wir einen ca 20 Meter tiefen Abhang, wo vor der Überschwemmung Wiese und Sträucher waren. Unten am Fundament des Gebäudes war zu sehen, dass in der Vergangenheit bereits ein Stützfundament gesetzt wurde. Die Fundamente lagen nicht frei, sondern wurden durch Erde gestützt. Die Frage stellte sich uns nun, ob der bereits stark abgetragene Hang wegrutschen könnte, da durch die weggerissene Uferbefestigung zu diesem Zeitpunkt schon stetig Erde durch den Fluss abgetragen wurde und der angekündigte Regen das Abtragen beschleunigen würde und somit das Haus keinen Halt mehr haben könnte. Bei steigendem Flusspegel, in Verbindung mit höheren Fließgeschwindigkeiten, reißt der Fluss dann noch mehr Erde mit. Die einsetzende Dunkelheit ließ uns nur noch die Chance für den Sonntag einen Plan zu stricken, die dafür notwendigen Kräfte anzufordern und die Familie zu bitten diese Nacht nicht in ihrem Haus zu schlafen. Andreas und ich schickten unsere Kameraden, nachdem klar war, dass an dem heutigen Tag keine Sofortmaßnahmen mehr gemacht werden konnten, zurück in den Bereitstellungsraum, um sich auszuruhen. Die Durchsprache der Maßnahmen, die Ermittlung der nötigen Einsatzkräfte, die Anforderungen bei der Bundeswehr und dem THW dauerten bis in die späten Abendstunden an.

Der ESS-Trupp sollte eigentlich am nächsten Tag, dem Sonntag, früh nach Hause fahren, sich auf halber Strecke mit der Ablösung treffen, um eine Übergabe durchzuführen und wäre dann fertig gewesen. Doch die Anforderung in der Nacht hatte ergeben, dass kein ESS-Trupp Sonntag früh morgens frei gewesen wäre, um die Arbeiten der Bergepanzer unten im Wasser am Hang zu überwachen. Doch die großen Steine zur Befestigung des Ufers mussten schnellstmöglich eingebracht werden und durch die Vibration der fahrenden Panzer bestand die Gefahr, dass jederzeit der Hang abrutscht. Also weckte ich meine Kameraden kurz nach Mitternacht und fragte sie, ob wir den Einsatz übernehmen und somit erst später heimkommen. Die Beiden lernten den Feuerwehrmann ebenfalls kennen und hatten noch so viel von der Lage mitbekommen, dass sie sich vorstellen konnten welche Konsequenzen diese Situation haben konnte. Sie sagten sofort „Ja“ und wir stellten unsere Wecker früher, sodass wir pünktlich an der Einsatzstelle waren und unsere Messprismen mit den nötigen Sicherungsmaßnahmen an das Gebäude und den umliegenden Bereich anbringen konnten. Nach einer Stunde der Überwachung konnten wir feststellen, dass keine Bewegung im Gebäude ist und die Arbeiten unten am Hang beginnen konnten. Wir überwachten die Arbeiten, bis zum Eintreffen unserer Ablösung aus dem eigenen Ortsverband, die dann noch zwei weitere Tage für die Sicherheit an der Einsatzstelle sorgten. Als ich nach sieben Tagen Pause wieder in den nächsten Einsatz fuhr und hörte, dass meine Kameraden sich erneut in Schuld befänden, wo ich sie wiederum ablösen sollte, habe ich mich darauf gefreut, zu sehen, was aus den geplanten Maßnahmen geworden ist. Dass der Hang gehalten hat und dass das Haus noch steht, wusste ich schon, denn darüber hatten mich meine Kameraden die ganze Zeit über auf dem Laufenden gehalten. 

Ich blicke mit den Erfahrungen aus den 14 Tagen im Ahrtal ganz anders auf die Welt. Die vielen Meckereien, die man so hört oder die Ansprüche, die man im Leben an sich oder seine Mitmenschen stellt sind doch alles nichts im Gegensatz zu den Schicksalen, die viele der Betroffenen dort erleiden mussten.

Diese Naturkatastrophen häufen sich und sie kommen näher.

Es sind nicht mehr Hurricans in Amerika oder Tsunamis in Thailand, es findet hier bei uns statt und es kann jeden treffen.

Wir brauchen jetzt nicht in Panik verfallen, aber wir sollten ernsthaft über uns selbst und über die Maßnahmen nachdenken, die vielerorts nicht getroffen werden.  

Wer aktiv helfen möchte kann auch spenden:

Neben den Spendenkonten

https://www.tagesschau.de/spendenkonten/spendenkonten-129.html

gibt es noch die Möglichkeit die Winzer vor Ort ganz direkt zu unterstützen, in dem wir ihnen die durch das Hochwasser unverkäuflich gewordenen und bis dahin gelagerten Weine abkaufen und damit direkte wirtschaftliche Unterstützung zum Wiederaufbau bieten:

https://flutwein.de/

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